Der Jahresrückblick 2019: Überwachen und Strafen.
Das Jahr 2019 hat uns mal wieder gezeigt, wie notwendig es ist, Polizeiarbeit zu kontrollieren und zu kritisieren. Dies sollte sich jedoch nie darin erschöpfen, sich über Rechte im Polizeiapparat oder rechtswidriges Handeln zu beschweren. Eine grundlegende Kritik am Strafsystem und der Institution Polizei ist notwendig. Und doch gab es in den letzten Monaten so viele Vorfälle, bei der die Polizei Sachsen so viele rechtsstaatliche, demokratische oder schlicht vernünftige Minimalgrenzen überschritten hat, dass wir hier einige Ereignisse und Entwicklungen aufführen wollen.
Wichtig ist natürlich, dass dies bei weitem nicht vollständig ist und wir, durch unsere lokale Anbindung, auch vieles, was nicht in Leipzig passiert, nicht mitbekommen. Wir freuen uns also über weitere Hinweise, die wir hier ergänzen können.
Das Motto der Polizei Sachsen scheint in diesem Jahr „Überwachen und Strafen“ gewesen zu sein: Mehr und härter, Law and Order. Dies ist vor allem dem autoritären Kurs der CDU, die auch das Innen- und Justizministerium besetzt, „zu verdanken“. Diese geht nämlich vor der Wahl noch mal auf Stimmfang am Rechten Rand und fühlt sich nach der Wahl offensichtlich in ihrem Kurs gegen Links bestätigt. Zu leiden haben darunter aber nicht nur linke Aktivist*innen, sondern auch alle Ausgegrenzten, die nicht ins konservativ-arbeitsam-deutsche Weltbild passen und vor allem auch die freiheitliche Demokratie und der Rechtsstaat an sich.
Zunächst einmal ist an anderer Stelle zu kritisieren, dass vieles in der medialen Berichterstattung ungeprüft von den Pressemitteilungen der Polizei übernommen wird. Die Polizei ist keine unparteiische Akteurin, sondern selbst Partei in den Auseinandersetzungen. Daher wäre es für qualitativ hochwertigen Journalismus notwendig, sich unabhängig von der Polizei mit der Perspektive der Betroffenen vertraut zu machen, anstatt ihre (oft unwahren und unvollständigen) Meldungen einfach zu kopieren. Die Polizei verselbstständigt sich, vor allem auch durch offensive social-media-Arbeit, als politische Akteurin. Auch das ist Teil einer autoritären Entwicklung.
Im April wurde das neue sächsische Polizeigesetz verabschiedet. Dieses enthält eine Reihe von Vorschriften, die grundlegende demokratische Rechte aushebeln. Insgesamt gibt es eine Vorverlagerung der Eingriffsschwellen, was Willkür und politischer Justiz Tür und Tor öffnet, mehr Überwachung, mehr Waffen, härtere Strafen (Fußfesseln und Kontaktverbote) – und das alles im präventiven Bereich, also bevor man* was Verbotenes gemacht hat. Das ist wohl die vorläufige Spitze der autoritären und repressiven Verschiebung durch die Legislative.
https://polizeigesetz-stoppen.de/kritik/
Über die Waffenverbotszone auf der Eisenbahnstraße in Leipzig haben wir schon so viel geschrieben, möchten aber dennoch auch hier auf das bewusst rechtswidrige Handeln der Polizei hinweisen: Beamt*innnen zeigen nie ihre Dienstausweise (Pflicht aus § 8 SächsPolG), praktizieren verbotenes racial profiling, und kontrollieren oft ohne Angabe der richtigen Rechtsgrundlage oder außerhalb des angeblich „gefährlichen Ortes“ (https://copwatchleipzig.home.blog/zwischenbilanz/).
Zur Willkürliche Aushebelung von Grundrechten durch die spontane Deklaration als „gefährlicher Ort“: https://kreuzer-leipzig.de/2019/03/11/ja-wer-denn-sonst/
Völlig überzogene verdachtsunabhängige Riesen-Razzia am 12.11., nur um noch mal Schlagzeilen über die Gefährlichkeit der Eisenbahnstraße zu bekommen. Hat sich nicht gelohnt – die Ergebnisse sind lächerlich. Man hätte die Menschen auch bei Tageslicht zu ihren Beschäftigungsverhältnissen befragen können, ohne ein komplettes Stadtviertel in Angst und Schrecken zu versetzen. Aber dann bekommt man ja kein Bild, was man schön zur Legitimation der WVZ verwenden kann.
Generalstaatsanwalt Stobl (untersteht Justizminister Gemkow, CDU) erlässt eine Generalverfügung an alle Staatsanwält*innen, Bagatelldelikte anzuklagen und nicht einzustellen (§§ 153 (a) StPO). Das betrifft vor allem kleinere Diebstähle und Drogendelikte, ausländerrechtliche Verstöße und Fahren ohne Ticket (Erschleichen von Leistungen). Damit werden vor allem diejenigen bestraft, die prekarisiert und gesellschaftlich sowieso schon ausgeschlossen sind. Viele Delikte gründen auf Armut (auch durch fehlende Aufenthaltstitel oder Arbeitserlaubnis), was durch Prozesskosten und Geldstrafen den Teufelskreis weiterspinnt und sogar in vielen Fällen zu Freiheitsstrafen führen wird. Die CDU sperrt lieber arme Menschen weg, als für Perspektiven zu sorgen.
Polizei eskaliert eine beendete Demonstration in der Hildegardstraße in Leipzig, die sich spontan anlässlich einer Abschiebung am 9. Juli zusammen gefunden hatte. Ca. 120 Demonstrierende werden verletzt. Danach werden willkürlich noch zwei Personen (ohne dt. Staatsangehörigkeit) festgenommen. Einer sitzt immer noch in Untersuchungshaft.
https://kreuzer-leipzig.de/2019/07/30/ich-rechne-doch-nicht-damit-im-krankenhaus-zu-landen/
https://copwatchleipzig.home.blog/le0907-le1007/
Eine Demo in Connewitz zum Gedenken an die Opfer des antisemitischen Anschlags in Halle wird von Polizei gestoppt, eine Anmeldung nicht zugelassen, aber viele falsche Informationen verbreitet. Dies stellt wieder mal einen überzogenen Beißreflex der Polizei dar.
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2019/10/Connewitz-Randale-statt-Gedenken-301461?highlight=Polizei
Connewitz, der Leipziger Stadtteil der (noch mehr oder weniger berechtigt) als „linke Hochburg“ gilt, ist das Feindbild Nr. 1 der Polizei (und Rechten, Konservativen) in Sachsen und deswegen ständiger Repression ausgesetzt. Gern wird dazu auf die Erzählung von mülltonnenanzündenen, schwarzvermummenten Chaoten (neuerdings auch gern als Terroristen bezeichnet) zurück gegriffen, um die angebliche Gefahr zu untermauern. Dass die CDU jetzt einen Aktionsplan gegen „Linksextremismus“ vorstellt, ist Teil der absurden Gleichsetzung von Links und Rechts, an dem – gegen jede seriöse Wissenschaft – auch vom Verfassungsschutz immer noch festgehalten wird.
Besonders drückt sich das in der Auslobung eines Kopfgeldes (höher als vor Jahren mal für einen KZ-Aufseher) für Hinweise zu angeblich linken Täter*innen und der Soko Linx aus. Hier wird von Gemkow (CDU) und Jung (SPD) der Wahlkampf zur Wahl des Leipziger Oberbürgermeisters ausgetragen. Wer ist härter, wer greift mehr durch? Nicht nur lächerlich und leicht zu durchschauen, sondern vor allem brandgefährlich.
https://kreuzer-leipzig.de/2019/11/06/wir-bekaempfen-jeden-extremismus/
Es werden hier nicht nur Verantwortliche für Sabotage, Hausfriedensbruch und leichte Körperverletzung gesucht. Es wird Strukturermittlungsverfahren (komplett Überwachung in allen Lebensbereichen zahlreicher Menschen) in der gesamten „linken Szene“ geben, was zu einer Kriminalisierung von progressiv-emanzipatorischen Zivilgesellschaft und Verharmlosung und Stärkung von Rechts führt. Can‘t you see the facism rising?!
Eine Demo in Plagwitz zur Solidarität mit Exarchia (linker, migrantischer Stadtteil in Athen, der massiv von der Polizei verwüstet und geräumt wird), wird von der Polizei eingeschränkt. Polizeipräsident Thorsten Schulze hält ACAB-Rufe für beleidigend. Nur leider interessiert das nicht, da schon zigfach gerichtlich festgestellt wurde, dass dies (solange es sich nicht konkret an einzelne Beamt*innen richtet) keine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB darstellt. Hauptsache die Polizei ist Opfer und Linke mal wieder als „Böse“ dargestellt.
Der Verfassungsschutz arbeitet weiter mit rechtsterroristen Netzwerken, die auch den sog. NSU unterstützt haben, „zur Informationsgewinnung“ zusammen und unterstützt diese somit finanziell und auch ideell (durch Warnungen und Deals zum Schutz vor Strafverfolgung). Währenddessen führt ein anonymer Hinweis von V-Person zu „staatsgefährdender Straftat“ zu angeblichen Hausdurchsuchung in der linken Szene in Leipzig, der sich nicht bewahrheitete und trotzdem in der Statistik auftaucht.
https://kreuzer-leipzig.de/2019/10/25/psst/
Innenminister Wöller (CDU) wird vorgeworfen, einen LKA-Bericht, der Verabredungen zu Hetzjagden in Chemnitz (1.9.2018) schon Tage vorher dokumentierte (und damit hätte verhindern können), im Innenausschuss gezielt unterschlagen zu haben.
Außerdem will Herr Wöller eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ausweitung automatischer KfZ-Kennzeichenüberwachung und Gesichtserkennung, obwohl eine Klage (Normenkontrollantrag bzgl. dem neuen Polizeigesetz) anhängig ist.
Videoüberwachung in Görlitz (Kosten für Errichtung 1 Mio. €) wird eingerichtet.
Polizei Leipzig versendet rassistische und rechtswidrige Meldedatenabfragen an Hotels nach angeblichen „rumänischen Diebesbanden“ auf dem Highfield Festival. Sie nennen auf Nachfrage falsche Rechtsgrundlagen.
Asylbewerber*innen bekommen immer mehr Eingriffe in Unverletzlichkeit der Wohnung, vor allem in Abschiebe- und Erstaufnahmelagern. Es kommt immer wieder zu gewaltsamen Abschiebungen und Misshandlungen der Geflüchteten.
Ordnungsamt gibt rechtswidrig Kontaktdaten von Demo-Anmelder*innen an Verfassungsschutz weiter, was darüber hinaus einen sensiblen Angriff auf Datenschutz und Versammlungsfreiheit darstellt.
Es wird versucht zu vertuschen, dass Beteiligte vom Connewitz-Angriff #le1101 Justizbeamte waren, die auch noch andere Mittäter „bewachten“.
https://kreuzer-leipzig.de/2019/09/27/herr-gemkow-sagen-sie-was/
Die Polizei Leipzig behauptet, es wurden Feuerwehrleute in Connewitz angegriffen, obwohl diese die Vorfälle nicht bestätigen.
https://kreuzer-leipzig.de/2019/11/04/das-ist-doch-subjektiv/
Die intensive Drogenfahndung nach „Kleinstdealern“ hat enorm zugenommen und verdrängt das Problem nur. Dabei ist es vor allem eins: rassistisch motiviert.
Polizei nimmt unzulässigerweise Abkürzung mit Drogenspürhunden über den Campus der Uni Leipzig.
https://kreuzer-leipzig.de/2019/06/03/dem-studentenrat-gehoert-ordentlich-auf-die-finger-gehauen/
Polizei stilisiert sich als Opfer: Verwendung absurd hoher Überstunden durch DPolG (Rainer Wendt). Über diese Überstundenhöhe lachen sich Lohnarbeitsabhängige kaputt.
https://kreuzer-leipzig.de/2019/04/29/verdaechtig-gute-jobs/
Polizeihochschule benutzt Lehrbücher mit Nazisprech (und -methoden) und „Rassenlehre“.
Währenddessen lässt Polizei in Plauen am 1. Mai die faschistische Partei Dritter Weg uniformiert und mit Fackeln ungestört in Anlehnung an Nationalsozialismus durch die Stadt spazieren.
Sachsen, deine Polizei.