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Protest & Corona

English below

 

How to Protest – #LeaveNoOneBehind

 

Am 5. April soll es bundesweite Aktionen zur absolut überfälligen Evakuierung der Geflüchteten auf den griechischen Inseln und der Balkanroute geben.¹ Um andere hierauf aufmerksam zu machen, wird unter den Hashtags #LeaveNoOneBehind und #WirhabenPlatz zu einem solidarischen Spaziergang aufgerufen, das heißt es sollen in der Öffentlichkeit Schilder mit einem politischen Statement getragen oder auf dem Boden Spuren hinterlassen werden.

Damit sich alle beim Protestieren unter den aktuell besonderen Umständen sicher fühlen und auf mögliche Repressionen reagieren können, wollen wir von CopWatch Leipzig unsere Einschätzung der Rechtslage mit euch teilen und euch Tipps an die Hand geben.

Zu Beginn sei noch gesagt, dass die Schutzmaßnahmen zur Vermeidung der weiteren Ausbreitung von COVID-19 sehr ernst zu nehmen sind. Haltet Abstand, wascht eure Hände, schränkt physische Kontakte auf sehr wenige Menschen ein und bleibt, wenn möglich, zu Hause. Seid solidarisch mit Menschen aus Risikogruppen und denjenigen, die unterbezahlt, überarbeitet und ohne ausreichenden Schutz vor der Erkrankung gesellschaftlich notwendige Arbeit verrichten.

Klar ist aber auch, dass social/physical distancing Gefahren birgt. Nicht jede*r kann zu Hause bleiben. Es gibt Menschen, die zu Hause Gewalt erwartet, und manche Menschen haben kein zu Hause.

Lasst euch  von der aktuellen Situation nicht unterkriegen. Jeder alltägliche Widerstand ist ein Protest!

Das Folgende ist natürlich keine Gewähr für Repressionsfreiheit, sondern eher ein Versuch, das Repressionsrisiko zu verringern.

Versammlungsverbot

Wegen einer Allgemeinverfügung der sächsischen Landesregierung² sind Versammlungen momentan verboten. Dieses Totalverbot gilt wohl vorerst für alle Versammlungen, selbst wenn das Ansteckungsrisiko aufgrund von Schutzmaßnahmen gering ist, etwa weil die Teilnehmenden jeweils einen Abstand von zwei Meter zueinander halten. Ein absolutes Verbot ist deswegen unverhältnismäßig und verletzt die Versammlungsfreiheit als grundlegendste demokratische Freiheit. Zudem ist es rechtlich und aus einer demokratischen Sichtweise heraus äußerst bedenklich, wenn Landesregierungen qua Allgemeinverfügung Grundrechte faktisch außer Kraft setzen. Das wäre nur demokratisch legitimiert, wenn ein formelles Gesetz im Landesparlament beschlossen worden wäre.

Ungeachtet dessen verweisen Polizei und Verwaltungsgerichte darauf, den Raum sozialer Medien zur Kundgabe von Protest zu nutzen.³ Doch das reicht nicht! Wir wollen und müssen sichtbar sein, nicht nur im Internet.

 

Wenn der Staat mit immer mehr Restriktionen und Strafen auffährt, lassen wir uns nicht einschüchtern, sondern es ist an der Zeit ungehorsam zu sein.⁴ Der Kampf für ein menschenwürdiges Leben für alle ist legitim und aktuell notwendiger denn je. Die Ausgrenzung von Geflüchteten von grundlegendsten Menschenrechten und Schutzmaßnahmen vor Corona ist zutiefst rassistisch und inakzeptabel. Im Gegensatz zu dem Totalverbot von Versammlungen, Ausgangssperre und Kontaktverbot, ist die Evakuierung von Moria auf Lesbos und allen anderen Lagern alternativlos und zwingend notwendig.

 

Ausgangssperre 

In Sachsen ist es momentan ebenfalls verboten, sich ohne triftigen Grund draußen aufzuhalten.⁵ Verstöße hiergegen sind unter Strafe gestellt, und ein Bußgeld bis zu 150€ kann fällig werden.⁶

Die Formulierung der Allgemeinverfügung ist äußerst unklar und unbestimmt, was der Polizei einen riesigen Handlungsspielraum bei der Durchsetzung gibt. Einen triftigen Grund glaubhaft zu machen ist demnach eher von einer plausiblen Geschichte und dem Wohlwollen der Beamt*innen abhängig (ein Hoch auf den Rechtsstaat, haha). Überlege dir also vorher ein paar Argumente und informiere dich und andere über deine Rechte und die Befugnisse der Polizei.

 

Was heißt das in der Praxis für den Protest?

Aufgrund des Versammlungsverbots bzw. der Ausgangssperre darf die Polizei dich anhalten, befragen und ggf. deine Identität feststellen.

Durchsuchungen oder Festnahmen sind nur zulässig, wenn du deine Identität nicht preisgibst oder andere Gründe nach dem Polizeigesetz oder der Strafprozessordnung vorliegen.⁷ Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn sie dich auf frischer Tat beim Sprühen erwischen, denn dies begründet den Verdacht der Sachbeschädigung ( § 303 II StGB). Auch das Anbringen von „Werbemitteln“ (Sticker, Plakate,…) oder Farbe ist bußgeldbewehrt.⁸ Mit Kreide malen ist jedoch erlaubt, da die Entfernung ohne Aufwand möglich ist.

 

Tipps zum Umgang mit der Polizei

Hab stets einen triftigen Grund im Sinne der Allgemeinverfügung parat, wenn du draußen zum protestieren unterwegs bist! Das sind beispielsweise⁹: Sport und Bewegung vorrangig im Wohnumfeld, Einkaufen, Besuch von Unterstützungsbedürftigen, Kindern oder Lebenspartner*innen, Spaziergänge mit Senior*innen, die sonst nicht mehr allein raus gehen (können) und Gassigehen.

Ganz Argumentationsfreudige könnten sogar versuchen, den Aufenthalt und Protest  mit „Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben“ von den Geflüchteten in den Lagern zu rechtfertigen.

Die politische Meinungskundgabe durch Spazieren mit Schildern ist laut einigen Beamt*innen keine „Bewegung im Freien“. Auch das ist natürlich absolut willkürlich und sicherlich politisch motiviert. Um wahlweise Diskussionen zu vermeiden, oder aber auf diese Willkür aufmerksam zu machen, und da einige von euch gerade sicher einen Bewegungsmangel haben, könnt ihr die Schilder springend, hüpfend, laufend, yogamachend tragen oder Botschaften auf T-shirts malen. Argumentiere mit deinem Bewegungsbedürfnis. Sag, dass du einen Spaziergang unternimmst oder auf dem Weg zum Einkaufen oder der*m Lebenspartner*in bist. Bestehe dabei auf deine Meinungsfreiheit (Art. 5 Grundgesetz), die ist nämlich nicht ausgesetzt!

Interveniere, wenn du Racial Profiling bzw. anderweitig diskriminierende Polizeikontrollen beobachtest. Von polizeilicher Willkür sind besonders diejenigen betroffen, die ohnehin in das Feindbild der Polizei passen. Wenn es zu sprachlichen Kommunikationsschwierigkeiten kommt, hilf der Person dabei sich selber (verbal) verteidigen zu können. Wenn du dich nicht traust, beobachte die Situation und spreche die Person ggf. danach an. Zeig ihr, dass sie nicht alleine ist.¹⁰

… und danach

 

Grundsätzlich gilt: Der Verstoß gegen das Versammlungsverbot bzw. die Ausgangssperre ist eine Ordnungswidrigkeit, die nicht zwingend verfolgt werden muss. Weder von den Beamt*innen, noch von der Bußgeldbehörde, noch von den Gerichten (Opportunitätsprinzip). Selbst wenn deine Daten von der Polizei aufgenommen werden sollten, kannst du dich später gegen den Bußgeldbescheid wehren. Manchmal lässt sich auch mit politischem Druck hier noch etwas erreichen.

Falls ein Bescheid kommt, organisiere dich mit anderen, um dagegen vorzugehen. Richtet einen Antirepressionstopf ein, von dem die Strafen derjenigen bezahlt werden können, die dies nicht leisten können. Meldet euch dazu entweder bei der Roten Hilfe, den Gruppen die zur Aktion aufrufen, oder bei uns, wenn du dafür Unterstützung brauchst.

 

Macht die Polizei Stress, schick uns eine Nachricht an copwatchleipzig@riseup.net, damit wir die Fälle sammeln und dokumentieren können oder twittere unter dem Hashtag #Coronapolizei und verlinke uns @copwatch_le.

 

Linker Protest war in Deutschland auch vor Corona starker Verfolgung und Repression ausgesetzt. Dass es jetzt noch unbequemer wird, darf uns aber nicht vom Protestieren abhalten. Es muss Lösungen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie geben, ohne dass grundlegende Freiheiten, Rechte und die Demokratie ausgesetzt werden. Wir als Linke sehen in einem solchen Protest unter Schutzmaßnahmen keinen Widerspruch zum Schutz der Menschen vor dem Virus, sondern halten es in diesen Zeiten gerade für notwendig, über Nationalstaaten, Kapitalismus und soziale Gerechtigkeit zu sprechen, und dies auf den Straßen sichtbar kundzutun.

 

 

Quellen:

 

 

 

3 VG Dresden, Beschluss vom 30.03.2020; Kommentar dazu: http://kanzlei-feilitzsch.de/blog/?p=115

 

4 Zur Geschichte, Definition und Notwendigkeit des zivilen Ungehorsams:  https://netzpolitik.org/2019/klimaproteste-warum-ziviler-ungehorsam-gut-fuer-die-demokratie-ist/

 

6 https://www.coronavirus.sachsen.de/download/ussgeldkatalog_SMS-SMI_31032020.pdf;  Strafen wegen Verstoß gegen Quarantäneauflagen nach dem IfSG lassen wir hier unbeachtet

 

 

 

english:

 

How To Protest – #LeaveNoOneBehind

 

For those who haven’t that much time for reading we have a graphic with the most important information here:

 

On the 5th April 2020, there will be nationwide actions for the absolutely overdue evacuation of the refugees stuck on the Greek islands and the Balkan route.¹

Under #LeaveNoOneBehind and #WirhabenPlatz, there is a call to take a walk in solidarity, carrying signs with political statements and leaving traces and shoes on the ground to create attention to others.

 

We want everyone to feel save and be able to react to any repressions during those current special circumstances. Because of this we, CopWatch Leipzig, want to share our assessement of the law situation and give you some hints.

At the start we want to say that the security measures for avoiding the further spread of COVID-19 should be taken really serious. Keep distance, wash your hands, restrict your physical contact to a few persons and stay, if possible, at home. Be in solidarity with risk groups and those who are underpaid, overworked and do socially necessary work without adequate protection from Corona.

It is also true that social/physical distancing can be dangerous for some people as well. Not everyone is able to stay at home. There are people who are violated at home and those who doesn’t have a home.

Don’t let the current situation get you down. Every daily opposition is protest!

 

The following doesn’t garantee freedom of repression (of course). It is rather a try to smaller the risk of repression.

Ban of assembly

Because of a general decree of Saxony’s Ministry of social issues and social cohesion all assemblies are subject to a total ban.² A total ban like this, which doesn’t matter on how much attention is paid to protective measures, is clearly unproportional and violates the right of freedom of assembly as the most fundamental democratic freedom.

As well in a legally and democratic view the federal goverment’s decree is really problematic because there is no democratic legitimation. Grave fundamental right restrictions require a parlamentary law (which would be in this case unproportional as well).

Instead, the police and the administrative courts refer to the space of social media for the announcement of protest.³ But that is not enough! We want and need to be visible, not only on the Internet.

When the state comes up with more and more restrictions and penalties, we will not be intimidated; it is time to disobey.⁴ The fight for a dignified life for all is legitimate and currently more necessary than ever. The exclusion of refugees from the most basic human rights and protection from Corona is deeply racist and unacceptable. In contrast to the total ban on gatherings, curfew and contact, the evacuation of Moria on Lesbos and all other camps is without alternative and imperative.

 

Curfew:

Staying outside without a valid reason is forbidden and punishable by a fine of up to 150€.⁵ The general disposition or legal ordinance is very unclear and undefined, which gives the police a huge scope of action. Right now no one knows what is allowed and what is forbidden. To make a good reason plausible is therefore rather dependent on a plausible story and the goodwill of the officials (cheers for the constitutional state, haha).

So think about some arguments and inform yourself and others about your rights and powers of the police.

 

What does that mean for the protest in practice?

Due to ban of assembly or curfew, the police is authorized to stop you, question you and to establish your identity. Searches or arrests are only permitted if you do not reveal your identity or if there are other reasons according to the police law or the code of criminal procedure.⁶

This would be the case, for example, if they catch you in the act of spraying, because this gives rise to the suspicion of damage to property (§ 303 II StGB). Also “advertising material” (stickers, posters, …) is subject to a fine according to the Leipzig police regulation. However, this is allowed with chalk, as the removal is possible without effort.

 

Tips to cope with police:

 

Valid reasons are for example⁷: doing sport and exercise primarily in the environment of your home, shopping, visiting people in need of support, children or partners*, walking with senior citizens who otherwise would not (or cannot) go out alone and taking a walk.

Those who are very keen on argumentation could even try to justify the stay and protest by “averting a danger to life and limb” from the refugees in camps.

According to some officials, the political statement of opinion by walking with signs is not “an outdoor movement”. Clearly that is arbitrary and polically motivated. However, since many people have a lack of movement, one could jump, run, doing yoga while holding the signs or paint something on the t-shirt.

Argue with your need of moving, that you are going for a walk, for groceries shopping or for visiting your life-partner*.

Insist on your freedom of expression (art. 5 Basic Law), because it is not suspended either!

Intervene, when you see Racial Profiling or other discriminating police controls. Those who fit in the police’s enemy imagine are affected in particular by police arbitrary.

If it comes to linguistic communication difficulties, help the person to defend themselves (verbally). If you hesitate to intervene, keep observing the situation and talk to the person afterwords. Show them, that they are not alone.⁸

 

In principle, the following applies: Violation of the ban on assembly or curfew is an administrative offence that does not necessarily have to be prosecuted. Neither by the civil servants, nor by the authority imposing fines, nor by the courts (Opportunity Principle). Even if your data should be taken by the police, you can also defend yourself later against the fine. Sometimes political pressure can be used to achieve something.

 

When a notice comes, organize yourself with others to fight against it. Set up an anti-repression pot from which fines can be paid for those who can’t afford it. To do this, contact either Rote Hilfe, the groups calling for that action or us, if you need financial support.

 

If the police wants trouble, send us a message to copwatchleipzig@riseup.net so we can collect and document the cases or tweet under the #CoronaPolice and link @copwatch_le.

 

Left-wing protest in Germany has always been subject to strong presecution and repression before Corona.

That the situation is now even more umcomfortable should not stop us from protesting. There must be solutions to contain the Corona crisis without exposing fundamental freedoms, rights and democracy. We on the left do not see this as a contradiction, but rather as an illustration of the need to talk about nation states, capitalism and social justice.

 

Sources (all in German):

 

 

3 VG Dresden, Beschluss vom 30.03.2020; Kommentar dazu: http://kanzlei-feilitzsch.de/blog/?p=115

 

4 Zur Geschichte, Definition und Notwendigkeit des zivilen Ungehorsams:  https://netzpolitik.org/2019/klimaproteste-warum-ziviler-ungehorsam-gut-fuer-die-demokratie-ist/

5 https://www.coronavirus.sachsen.de/download/ussgeldkatalog_SMS-SMI_31032020.pdf;  unbeachtet lassen wir jetzt Strafen wegen dem Verstoß von Quarantäneauflagen nach dem IfSG

 

 

 

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