Die letzte Woche konnten wir eine neue Stufe des Autoritarismus, der Faschisierung der Gesellschaft und der Macht der Polizei sehen. Im Ergebnis muss leider festgehalten werden, dass nicht wir, sondern die Polizei und Landes- bzw. Stadtregierung staatszersetzend sind.
Es ist ab heute vielleicht wieder erlaubt, in Leipzig seine Meinung zu sagen und sich als linke Person durch die Stadt zu bewegen, ohne Angst zu haben, stundenlang festgehalten, schikaniert & bestraft zu werden. Und hoffentlich gilt dies auch für Demoanmelder:innen und linke Abgeordnete. Dass wir heute Abend in einer Demokratie selbstverständliche Grundrechte einfordern müssen, ist einfach nur traurig. Die Versammlungsverbote, Überwachung & Repression haben dazu geführt, dass die Kritik am AntifaOst Prozess kaum zur Sprache kam, was angesichts der skandalösen Ermittlungs- und Prozessführung und einer notwendigen Einordnung in den gesellschaftlichen Kontext enorm wichtig gewesen wäre. Stattdessen waren wir damit beschäftigt Menschenrechtsverletzungen* zu kritisieren. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Legitimität und Notwendigkeit von antifaschistischem Selbstschutz blieb so auf der Strecke.
Der Aufwand, mit dem für einen Tag antifaschistischer Protest unterdrückt werden sollte, hatte eine Dimension, die selbst bei anderen Großveranstaltungen vergeblich ihres gleichen sucht. Allerdings gab es hier keine zu schützende Gegenveranstaltung wie den G20 Gipfel, die EZB-Eröffnung, internationale Amtsträger*innen oder den Auftrag, Lützerath zu räumen,die ein größeres Aufgebot zumindest mal im Grundsatz erklären würde. Nur eine angezeigte Demonstration und evtl. Ausschreitungen sollten unterbunden werden. Dass die Ausschreitungen, die sich in Sachbeschädigung und brennenden Barrikaden erschöpft hätten, nicht sehr wahrscheinlich AUF der Demonstration stattgefunden hätten, war irrelevant. Für die Aussetzung der Demonstrations-, Meinungs-, und teilweise auch Pressefreiheit in einer Stadt für ein ganzes Wochenende hat eine völlig undifferenzierte Gefahrenprognose der Polizei gereicht. Die für dieses Wochenende erlassenen Einschränkungen stellen eine weitere Normalisierung von Ausnahmezuständen dar, die den Minimalkonsens demokratischer Kräfte aufweicht.
Jede repressive juristische Möglichkeit wurde genutzt: Kontrollgebiet, Verkürzung der Rechtsschutzmöglichkeiten wegen des späten Verbots der TagX Demo, das komplette Versammlungsverbot, Platzverweise für Straßen, Viertel oder die ganze Stadt, die Gefährdungsansprachen, Anreiseverbote in anderen Städten. Auch die heuchlerischen Begründungen am Mittwoch den 31. Mai und am Samstag den 3. Juni, dass die Demos nicht laufen dürften, weil “zu viele” Leute da seien, entlarvte die politische Motivation der Repression – als ob Versammlungsbehörde und Einsatzleitung eine Obergrenze antifaschistischer Solidarität festlegen könnten. Das gewaltvoll durchgesetzte Versammlungsverbot wurde so zu einem Verbot der politischen Meinungsäußerung: nicht nur mit Antifa Ost Bezug, was allein für sich genommen schon skandalös genug wäre. Jede laut vorgebrachte Kritik am polizeilichen Vorgehen wurde mit Platzverweisen und Androhung von Gewalt und tatsächlicher Gewalt unterdrückt,friedliche Solidaritätskundgebungen mit den Gefangenen wurden eingekesselt und mit Platzverweisen bestraft.
Erschreckend war nicht nur das Fuhrpark-, Überwachungs-, und Waffenarsenal bestehend aus mind. 10 Wasserwerfern, mind. 3 Räumpanzern, Kameras und Mikrophonen im ganzen Stadtgebiet, Helikopter usw. sondern auch die aufgeputschte Polizei-Armee. Behelmt, gepanzert, mit Schildern, Schlagstöcken, Pfefferspray, mit Mehrzweckpistole für Tränengas und selbstverständlich normalen Schusswaffen waren sie derart militarisiert, dass sich nicht gewundert werden muss, wenn als Reaktion Ohnmacht in Gegenwehr umschlägt. Eine Eskalationsdynamik, die von der Einsatzleitung und vom Innenminister vorhergesehen und gewollt war. Denn es musste zu Ausschreitungen kommen, sonst hätte der wahnwitzig aufwendige und teure Polizeieinsatz nicht gerechtfertigt werden können.
Auf die nähere Beschreibung der brutalen Polizeigewalt durch Schläge, Umrennen und Schmerzgriffe und daraus folgende schwere Verletzungen und die Behinderung der Presse und Gewalt gegen diese, damit sie Polizeiaktionen nicht dokumentieren, wollen wir hier erst mal verzichten. Eine tiefergehende Aufarbeit davon wird von unserer Seite noch folgen.
Im Zentrum der polizeilichen Unterdrückung des politischen Protests stand die Taktik der Einkesselung, die hier am Alexis-Schumann-Platz eine in Deutschland leider nicht ungewohnte, aber lange nicht gesehene Dimension erreichte: Der „Leipziger Kessel“, der in vielen Medienberichten und Kommentaren der politisch Verantwortlichen bisher keine Erwähnung findet, dauerte die gesamte Nacht, über 11 Stunden lang. Bei 1000 Personen wurde ein entgrenztes und entwürdigendes Behandlungsprogramm durchgeführt: Personalien wurden aufgenommen und die Demonstrant*innen fotografiert, Fingerabdrücke und Handys mussten abgegeben werden und die Durchsuchungen beschränkten sich nicht auf Rucksäcke und Taschen, sondern gingen buchstäblich bis auf die Haut. Dass tatsächlich zahlreiche Anklagen gegen die Betroffenen erfolgen, ist angesichts kaum vorhandener Beweise, da die Gruppe willkürlich festgesetzt worden war, nicht allzu wahrscheinlich**. Was bleibt, und genau das wurde mit der langen Dauer und den unwürdigen Bedingungen bezweckt, ist die Bestrafung vor Ort durch die Polizei.
Es ist eine Repression, die Spuren hinterlässt: die physische und psychische Gewalt, sexualisierte Gewalt sogar gegen Minderjährige, Beleidigungen und Erniedrigungen, das Vorenthalten elementarer Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Kleidung, Decken, Toilettenmöglichkeiten, Schlafen; die Angst vor einem langen, kostenintensiven und berufsgefährdenen Prozess; die Eintragung in polizeiliche Datenbanken, die damit quasi eine Liste mit (vermeintlich) Linken hat. All das sind Taktiken zur Einschüchterung und Abschreckung. Dass offensichtlich rechtswidrige Maßnahmen nicht abgebrochen werden, liegt daran, dass dies ein Eingeständnis eines Fehler der Polizei wäre. Und das will sie sich nicht erlauben, um ihre Autorität zu behaupten. Dies ist ein strukturelles Problem des staatlichen Konzepts der Polizei, ein Problem, was zu systematischer Polizeigewalt führt. Persönliche Konsequenzen sind für die Einsatzleitung wie für die ausübenden Beamt*innen selbst bei illegalen Handlungen ohnehin nicht zu erwarten. Im Gegenteil, von Politik, Justiz und weiten Teilen der Medien erfolgte eine kategorische Rückendeckung des polizeilichen Handelns.
Ständig zitiert wird Esther Bejarano mit ihrer Aussage, wer gegen Rechts kämpfe, könne sich auf den Staat nicht verlassen. So prägnant und inhaltlich treffend dieser Satz auch ist, von einer beeindruckenden Person, darf er darf nicht zur Floskel verkommen. Wir müssen überlegen, was das konkret heißt. Es heißt, dass wir uns vor dem Staat und Nazis schützen müssen. Es werden weiterhin staatliche Ressourcen eingesetzt, um uns ausfindig zu machen, zu überwachen und zu bestrafen. Uns in permanenter Angst zu halten und anzugreifen. Dass es dafür übrigens überhaupt nicht den Vorwand von “Gewalt” braucht, zeigt der Vorwurf der kriminellen Vereinigung gegen den Protest der Letzten Generation. Dabei sind nicht nur rechte Beamt*innen, wie bei zahlreichen Skandalen der letzten Jahre, das Problem. Die Extremismustheorie, die Entpolitisierung faschistischer Gewalt und die Narrative über Linke sind in den gesamten staatlichen Strukturen eingewoben, sodass auch nicht-rechte Beamt*innen, der bürgerliche Staat zu Steigbügelhaltern der Faschist:innen werden.
Dieser zunehmenden Bedrohung müssen wir eigene Mechanismen zur Konfliktlösung entgegensetzen und Freiräume schaffen. Alternativen für Sicherheit und Gerechtigkeit sind dringender denn je. Lasst uns gemeinsam Ideen entwickeln, wie wir auf Gewalttaten reagieren können. Lasst uns ernsthaft über Schutzkonzepte unserer Nachbarschaften, Orte und Veranstaltungen diskutieren. Die Polizei und den Verfassungsschutz, Institutionen, die selbst in nationalsozialistischer Kontinuität stehen, abzuschaffen, Nationalstaaten und Kapitalismus zu überwinden, muss mit dem Kampf gegen Faschismus einhergehen, da diese Systeme sich gegenseitig erhalten. Dieser Kampf muss international, feministisch und antirassistisch sein.
Trotz alledem stark zu bleiben, weiter zu machen, die Hoffnung angesichts der starken faschistischen Tendenz, sozialer Ungleichheit und Klimakatastrophe nicht zu verlieren, erscheint immer schwerer. Aber wir haben keine Wahl, wenn wir ein Leben in Freiheit, Frieden, Sicherheit und Gleichwertigkeit führen wollen. Es bleibt uns nur die Leidenschaft, Hoffnung und Solidarität.
Alerta!
* Das Konzept der Menschenrechte braucht selbst eine kritische Reflexion, deren konkrete Diskussion in der aktuellen Situation allerdings eher als “Luxusproblem” erscheint: aus libertärer Sicht wird Recht als Herrschaftsinstrument und das Völkerrecht aus einer dekolonialen Perspektive kritisiert.
** So beispielsweise bei den Blockupy Protesten in Frankfurt a.M. 2013.
English
Last week we could see a new level of authoritarianism, fascization of society and the power of the police. As a result, unfortunately, it must be noted that not we, but the police and state or city government are subversive of the state.
From today on, it may be allowed again to speak one’s mind in Leipzig and to move through the city as a left-wing person without fear of being detained, harassed & punished for hours. And hopefully this is also true for demonstrators and left-wing members of parliament. That we have to demand self-evident basic rights in a democracy tonight is just sad. The assembly bans, surveillance & repression have led to the fact that the criticism of the AntifaOst process hardly came up, which would have been enormously important in view of the scandalous investigation and trial management and a necessary classification in the social context. Instead, we were busy criticizing human rights violations*. The social discussion about the legitimacy and necessity of anti-fascist self-protection thus fell by the wayside.
The effort with which anti-fascist protest was to be suppressed for one day had a dimension that even at other large events is in vain. However, there was no counter-event to be protected here, such as the G20 summit, the opening of the ECB, international officials or the order to clear Lützerath, which would explain a larger contingent, at least in principle. Only a reported demonstration and possible riots should be prevented. The fact that the riots, which would have exhausted themselves in damage to property and burning barricades, not very probably ON the demonstration would have taken place, was irrelevant. For the suspension of the demonstration, opinion, and partly also press freedom in a city for a whole weekend a completely undifferentiated danger prognosis of the police was enough. The restrictions imposed for this weekend represent a further normalization of states of emergency that soften the minimum consensus of democratic forces.
Every repressive legal possibility was used: Control area, shortening of legal protections because of the late ban on the TagX demo, the complete ban on assemblies, expulsions from streets, neighborhoods or the whole city, the endangerment speeches, travel bans in other cities. Also the hypocritical justifications on Wednesday, May 31, and Saturday, June 3, that the demos were not allowed to run because “too many” people were there, exposed the political motivation of the repression – as if assembly authorities and command could set an upper limit of antifascist solidarity. The violently enforced ban on assembly thus became a ban on political expression: not only with Antifa Ost reference, which alone would be scandalous enough. Any loud criticism of the police action was suppressed with expulsions and threats of violence and actual violence, peaceful solidarity rallies with the prisoners were surrounded and punished with expulsions.
It was not only the fleet of vehicles, surveillance and weapons consisting of at least 10 water cannons, at least 3 evacuation tanks, cameras and microphones throughout the city, helicopters, etc. that was frightening, but also the police army, which was amped up. Helmeted, armored, with shields, batons, pepper spray, with multi-purpose pistols for tear gas and, of course, normal firearms, they were militarized in such a way that one should not be surprised if the reaction of powerlessness turns into resistance. An escalation dynamic that was foreseen and wanted by the command and the minister of the interior. Because riots had to happen, otherwise the insanely elaborate and expensive police operation could not have been justified.
We will refrain from describing in detail the brutal police violence through beatings, running over and painful grips and the resulting serious injuries and the obstruction of the press and violence against them, so that they do not document police actions. A deeper processing of it will still follow from our side.
In the center of the police suppression of the political protest was the tactic of encirclement, which here at Alexis-Schumann-Platz reached a dimension that is unfortunately not unusual in Germany, but has not been seen for a long time: The “Leipzig encirclement”, which has not yet been mentioned in many media reports and comments by those politically responsible, lasted the entire night, for over 11 hours. A de-limiting and degrading treatment program was carried out on 1000 people: Personal details were taken and the demonstrators photographed, fingerprints and cell phones had to be handed over and the searches were not limited to backpacks and bags, but literally went to the skin. That numerous charges will actually be brought against those involved is not too likely**, given the scarcity of evidence, as the group had been arbitrarily detained. What remains, and this is exactly what was intended by the long duration and the undignified conditions, is the punishment on the spot by the police.
It is a repression that leaves traces: the physical and psychological violence, sexualized violence even against minors, insults and humiliations, the withholding of elementary basic needs such as food, drink, clothing, blankets, toilet facilities, sleep; the fear of a long, costly and professionally dangerous trial; the registration in police databases, which thus virtually has a list of (supposedly) leftists. These are all tactics of intimidation and deterrence. The reason that obviously illegal measures are not stopped is that this would be an admission of a mistake on the part of the police. And it does not want to allow itself to do that in order to assert its authority. This is a structural problem of the state concept of the police, a problem which leads to systematic police violence. Personal consequences are not to be expected for the officers in charge of the operation or for the officers who carry it out, even in the case of illegal actions. On the contrary, politics, the judiciary and large parts of the media categorically support the actions of the police.
Esther Bejarano is constantly quoted as saying that anyone fighting against the right cannot rely on the state. As concise and accurate as this sentence is, coming from an impressive person, it must not be allowed to degenerate into a cliché. We must consider what it means in concrete terms. It means that we must protect ourselves from the state and Nazis. State resources will continue to be used to track us down, monitor us and punish us. To keep us in permanent fear and to attack us. By the way, the accusation of criminal association against the protest of the Last Generation shows that it doesn’t need the pretext of “violence” at all. The problem is not only right-wing officials, as in numerous scandals of recent years. The theory of extremism, the depoliticization of fascist violence and the narratives about leftists are woven into the entire state structures, so that even non-right-wing officials and the bourgeois state become stapes holders of the fascists.
We must counter this increasing threat with our own mechanisms for conflict resolution and create free spaces. Alternatives for security and justice are more urgent than ever. Let’s develop ideas together on how to respond to acts of violence. Let’s seriously discuss protection concepts for our neighborhoods, places and events. Abolishing the police and the protection of the constitution, institutions that are themselves in Nazi continuity, overcoming nation-states and capitalism must go hand in hand with the struggle against fascism, as these systems sustain each other. This struggle must be international, feminist and anti-racist.
To stay strong despite all this, to keep going, to not lose hope in the face of strong fascist tendencies, social inequality and climate catastrophe, seems harder and harder. But we have no choice if we want to live a life of freedom, peace, security and equality. The only thing left for us is passion, hope and solidarity.
Alerta!
*The concept of human rights is criticized from a libertarian perspective as an instrument of domination and international law from a decolonial perspective.
** For example, at the Blockupy protests in Frankfurt a.M. 2013.
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